Die 6 „Förmlichkeits-Grade“ in Netzwerken: Förmlich oder locker: Was ist denn nun besser?

Sie haben nun also die unangenehme Wahl, zwischen starken Netzwerken, die perfekt strukturiert, formalisiert und ritualisiert sind, dafür aber nicht gerade als Horte der Freude und Individualität gelten oder Teil einer Gruppe zu werden, die zwar freundlich, locker und ganz persönlich ist, aber dafür etwas chaotisch, wenig dynamisch und schwach. Ist das wirklich so?

Nein. Denn gerade das Beispiel „Militär“ zeigt uns, dass es einen dritten Weg gibt, den wir anstreben sollten. Denn die leistungsfähigsten und besten Abteilungen der Streitkräfte, die Spezialeinheiten, sind deshalb meist legendär, weil sie beide Seiten verbinden. Die Sajeret Matkal zum Beispiel, der militärische Arm des Mossad und wohl die gefürchtetste Spezialeinheit weltweit, deren legendärste Operation die Geiselbefreiung von Entebbe 1976 war, hat (neben einer sehr harten Ausbildung) ein unglaubliches Repertoire an Ritualen und Regeln: Man kann sich nicht bewerben (da die Einheit offiziell gar nicht existiert), sondern wird diskret von Vorgesetzten empfohlen; die nächtliche Aufnahmezeremonie findet in der ehemaligen Felsenfestung Massada statt, in der sich 73 n.Chr. knapp 1000 Juden mit ihren Familien lieber selbst umbrachten, als sich den römischen Belagerern zu ergeben; die ehemaligen Mitglieder (u.a. Ehud Barak, Benjamin Netanjahu, Schaul Mofaz) bilden ein Netzwerk auf Lebenszeit, das sich regelmäßig im Geheimen trifft; das Abzeichen der Einheit darf nie offen getragen werden; etc.

Gleichzeitig hat sich diese Truppe aus den Besten der Besten im Jahre 2003 die unglaubliche Freiheit herausgenommen, dem israelischen Premierminister offen den Dienst zu verweigern und die Siedlungspolitik Israels gegen die Palästinenser zu kritisieren. 13 Mitglieder der Sajeret Matkal veröffentlichten einen Brief an den Regierungschef mit folgendem Inhalt: “Wir sind hierhergekommen, um Ihnen, Herr Premierminister, mitzuteilen, dass wir weder länger Komplizen der Unterdrückungspolitik in den besetzten Gebieten und der Verweigerung elementarer Menschenrechte gegenüber von Millionen Palästinensern sein werden, noch als Schutz von Siedlungen auf konfisziertem Land dienen werden.“

So etwas würde sich wohl keine andere Einheit herausnehmen und die entsprechende öffentliche Diskussion, die der „Sajeret-Matkal-Brief“ auslöste, führte einige Monate später zum Teilabzug israelischer Soldaten und zur heutigen Teil-Selbstverwaltung der palästinensischen Gebiete. Die Mitglieder der Sajeret Matkal haben das Selbstverständnis eines hoch ritualisierten, extrem formalisierten, elitären Netzwerks, das gerade deshalb Individualismus im Denken und Charakterstärke ihrer Mitglieder nicht fürchtet.

Andere Beispiele sind der britische SAS (Special Air Service), die US Navy Seals oder die französischen Fremdenlegion. Alle diese Spezialeinheiten sind legendär, haben spezielle Rituale und Gesetze, die in den anderen Truppenteilen nicht existieren. Zum Beispiel wird die grün-rote Flagge der Fremdenlegion (grün=Land, rot=Blut) in Einsatzzeiten verkehrt herum, mit der roten Farbe nach oben, gehisst: „Blut ist auf dem Land“. Keine andere militärische Einheit der französischen Armee hat ein solch halb-religiöses, an Fanatismus grenzendes Ritualwerk wie die Fremdenlegionäre. In anderen Armeen sind es ebenfalls immer die Spezialeinheiten, die fast wie Sekten funktionieren.

Es sind sehr eingeschworene Gemeinschaften mit sehr strikten Regeln, deren Mitgliedschaft über die eigentliche Dienstzeit hinaus geht. Das Motto der Fremdenlegion „Legio Patria Nostra“ (Die Legion ist unser Vaterland) zeigt die enge und dauerhafte Verbindung zueinander: Man bleibt immer Legionär, wenn man einmal dabei ist. Ebenso legendär ist jedoch ihr ungewöhnliches Auftreten und die individuelle Kultur dieser Einheiten. Am bekanntesten sind hier wohl ebenfalls die Soldaten der französischen Fremdenlegion, die, oft vollbärtig und mit seltsamen Frisuren, eher wie Kameraden von „Braveheart“ als einem französischen Soldaten gleichen. Bei der jährlichen Militärparade in Paris wirken diese Elitesoldaten neben den regulären Einheiten wie ein wilder Miliz-Haufen aus den Bergen Afghanistans. Doch sie können sich diesen Individualismus leisten, eben weil sie zur Elite gehören.

Diese zunächst kontrovers anmutende Philosophie findet sich unter anderem auch bei den japanischen Samurai: Wenn ein Krieger alle Techniken beherrscht, alle Wege korrekt gegangen ist und jede Regel perfekt befolgen kann, dann erst kann er sich von all seinem Wissen wieder befreien und wie ein Kind dem freien Fluss der Energien folgen. Erst dann wird er ein vollkommener Kämpfer sein. Alle Rituale und Übungen dienen am Ende dem Ziel, einen freien Geist zu fördern. Das mag widersinnig scheinen, funktioniert aber tatsächlich. Das beste Beispiel ist Tanzen (bei Standard-Tänzen, nicht unbedingt bei „Crumping“ oder Ausdruckstanz): Erst, wenn Sie alle Bewegungen perfekt beherrschen, also alle Formen verinnerlicht haben, können Sie komplett in die Musik eintauchen und locker werden.

Ähnlich verhält es sich mit menschlichen Gruppen: Die hohe Kunst der Dictyonomie besteht darin, beide Extreme, Rituale, Regeln und Förmlichkeiten und Lockerheit, Individualität und geistige Freiheit miteinander zu verbinden. Ein wirklich gutes Netzwerk kann beides: Einen hohen Grad an Förmlichkeit und Regeln, damit eine hohe „Schlagkraft“ und Dynamik, gleichzeitig eine freundliche, entspannte Atmosphäre unter Menschen, die sich als Individualisten akzeptieren. Genau wie bei der Sajeret Matkal.

Umfrageergebnis

Dass der Anschluss an eine starke Gemeinschaft nicht dem Ausleben der eigenen Individualität widerspricht, ergab auch unsere Umfrage, nach der nur 2% die Gruppe als Einschränkung ihre Individualität empfinden. Wohingegen 70% ihre Individualität überhaupt nicht durch eine Gruppe gefährdet sehen.

Wenn Sie also Netzwerke kennen lernen, beobachten Sie genau, wie man dort miteinander umgeht, welche Rituale es gibt, welcher Grad an Förmlichkeit in dieser Gemeinschaft herrscht. Und ob es gelingt, Professionalität und Struktur mit einem Lächeln zu verbinden. Ein gutes Netzwerk erkennen Sie daran, dass es schafft, Form mit Inhalt zu verbinden und dass die Mitglieder in entspannter Atmosphäre sinnvolle Regeln und Rituale pflegen, ohne ihre Persönlichkeit dabei verstecken zu müssen.

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